Frank Krings: Ego-Marketing – Was Autoren von Rappern lernen können

Frank Krings: Ego-Marketing - Was Autoren von Rappern lernen können

Frank Krings arbeitet in der Kommunikationsabteilung der Frankfurter Buchmesse, Schwerpunkt Online-Redaktion / Social Media. Seine Artikel hier geben seine privaten Ansichten und nicht die der Frankfurter Buchmesse wieder.

Egal ob Autoren heute sich und ihr Werk über Verlage oder über Self-Publishing vermarkten wollen: Erfolgreich ist, wer sichtbar ist und einen Wiedererkennungswert hat. In kalter Marketing-Sprache: Es geht um die Ich-Marke, um das Ego-Marketing, um das Self-Seeding auf allen relevanten Kanälen. Vielleicht ist dafür ein Blick auf jene Zunft von Lyrikern sinnvoll, für die ein kreatives und vehement verfolgtes Ego-Marketing zum Tagesgeschäft gehört: Die Rapper.

Wer im Hip Hop-Geschäft wahrgenommen werden will, muss dafür jeden Kanal nutzen und unverwechselbar sein. Ein Beispiel dafür ist die Verbreitung über Mixtapes: In den 90ern produzierten Rapper ohne Label-Vertrag in Eigenregie Mixtapes mit eigenen Freestyles über angesagte Beats. Diese Mixtapes verteilten sie in ihrer Hood, in Plattenläden und nach Freestyle-Sessions in Clubs. Heute ist es noch einfacher: Das Mixtape wird als Free Download im eigenen Social Graph und an relevante Hip-Hop-Blogs verteilt.

Der heutige Milliardär 50 Cent war 1999 noch ein drogen-dealender Eckensteher in Queens, als er über ein Mixtape mit wüsten Disses gegen Rap-Stars aus New York schlagartig in der Szene bekannt wurde. (Exkurs: Manche Blogger sind da ganz ähnlich und suchen die Aufmerksamkeit über Rants gegen bekannte Blogger.) Überhaupt ist der Wettbewerb, das Kräftemessen mit Konkurrenten, ein Essential im Hip Hop. Das schärft das eigene Profil. Man vergleiche nur mal einen MC-Battle vor Publikum wie in Eminems “8 Mile”-Film mit einer gewöhnlichen Poetry-Slam oder einem Autoren-Wettbewerb.

Zur Profilschärfung setzen viele Künstler auch ein Storytelling rund um einen oder mehrere fiktive Charaktere ein. So hat es Kool Keith bis heute zu 30 verschiedenen Charakteren geschafft: Unter “Kool Keith” repräsentiert er klassischen Hip Hop, als “Black Elvis” rappt er ausschließlich über Sci-Fi-Themen und als Frankenstein-hafter Dr. Octagon experimentiert er sowohl lyrisch (Horror, Verschwörungen) wie musikalisch (Trip Hop). Die Pseudonyme verschaffen nebenbei auch Freiräume, wenn der Plattenvertrag mal die kreative Freiheit einschränken sollte.

Neben der Lust am “Battle” und am Storytelling teilen Rapper eine Lust am Konsum, die sie zu klug taktierenden Werbeträgern und Produkt-Entwicklern macht. Anno 1986 hatten die bekennenden Adidas-Turnschuh-Fetischisten RUN DMC noch keinen Sponsor. Nach ihrem Hit “My Adidas” wurde der damals noch wenig “hippe” Sportbekleidung-Hersteller aus dem fränkischen Herzogenaurach hellhörig. Folgerichtig hatten RUN DMC bald einen gewichtigen Sponsor und konnten ihre eigenen Sneakers designen.

Moderne Rap-Stars wie Jay-Z professionalisieren das noch, indem sie Mitinhaber und rappende Storyteller von Produkten werden, die zum eigenen Lifestyle passen: Champagner-Marken, Sportswear, Clubs, etc. Und wenn eine wandelnde Ich-Marke wie Jay-Z sich mal zu einer Biographie (“Decoded”) herablässt, werden alle Register des modernen Marketing gezogen: Auszüge aus “Decoded” erschienen u.a auf dem Filz von Billard-Tischen, auf dem Einwickel-Papier von Hamburgern. Außerdem wurden Textzeilen in eine New Yorker Schnitzel-Jagd auf den Spuren von Jay-Zs Leben mithilfe der Suchmaschine Bing integriert:

(Video, 3 min.)

Trotz des Hangs zum glamourösen Leben beziehen viele Rapper ihre Fans gerne in ihr Schaffen mit ein. Das Social Web ist für sie die neue Arena zum Kräftemessen und Repräsentieren. Reime werden in 140 Zeichen getwittert und bei Nichtgefallen durch die Follower einfach aussortiert. Und die besten, wirrsten Tweets von Kanye West – auch so eine wandelnde Ich-Marke in XXL – kann man als handgestickte Gemälde kaufen. Die ganz hippen MCs stellen komplette Song-Texte dem neuen Startup rapgenius zu Verfügung. Das ist eine Art Wiki, in dem Fans kryptische Slang-Ausdrücke selbst mit passenden Bildern, Definitionen und Filmen visualisieren können. Jede Begriffserklärung kann dann von den anderen Usern (inkl. dem Autor selbst!) geliket, geplusst oder verändert werden.

Kurzum: Rapper sind Pioniere in Sachen Ich-Marke und dem Sich-Selbst-Bekanntmachen auf allen verfügbaren Kanälen. Das muss man in dieser Konsequenz nicht immer sympathisch finden. Und das lässt sich auch nicht 1:1 auf das Selbstbild vieler Autoren übertragen. Aber es zeigt Möglichkeiten. Word!

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